Weblogs und Journalismus – Was passiert da eigentlich?

Dieser Artikel ist ein Gastbeitrag vom Sinnmacherblog und wurde stark gekürzt. Das Original findet sich auf dem Sinnmacher Weblog.

Die Beziehung zwischen Weblogs und Journalismus ist ein vieldiskutiertes Thema. Trägt man die aktuell vorhandenen Informationen zusammen, kann ein relativ genaues Bild der momentanen Situation gezeichnet werden. Kurzum die (gängige) These: Journalismus wird durch die Blogosphäre nicht etwa in seiner Existenz bedroht, sondern vielmehr ist die Beziehung zwischen Journalismus und Weblogs durch Komplementarität gekennzeichnet.

Ein Blick auf mehr oder weniger aktuelle Studienergebnisse gibt weiteren Aufschluss darüber, wie der Journalismus mit Weblogs umgeht. Aus Jan SchmidtsWeblogs – eine kommunikationssoziologische Studie“ entnehme ich (bzw. direkt von RSCG), dass in den USA (2005) 51% der Journalisten Weblogs lesen und dies zu 70% für arbeitsrelevante Gründe. 53% suchen in Weblogs neue Ideen für Artikel, 43% recherchieren Fakten, 36% suchen nach Quellen und 33% nach „breaking-news“ oder Skandalen. Ebenfalls sagten die Befragten den Weblogs eine rosige Zukunft voraus: „68% of respondents agree that blogs will become a more popular tool for corporations seeking to inform consumers while 56% agree that blogs will remain an independent and unorthodox means of disseminating information.“

Es scheint (eher: es ist wirklich so), dass in den USA die (A-)Blogger einen höheren Status geniessen als hierzulande (gemeint: deutscher Sprachraum – gehört ja alles irgendwie zusammen, nicht?). Z.B. hat Marcel Bernet einen Artikel dazu geschrieben. Dies steht natürlich in engem Zusammenhang mit der Diffusion des Bloggens und des Blog-Lesens auf den verschiedenen Kontinenten. Nur etwa 1% aller Blogartikel sind in deutscher Sprache verfasst. Und im Vergleich zu z.B. den USA und Japan lesen noch eher wenige deutschsprachige Internetnutzer regelmässig Weblogs.

Über Klaus Eck, bin ich auf die Studie (2007) des Instituts für Kommunikationswissenschaft an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster gestossen, welche neben einem Forschungsüberblick über Nutzung und Verbreitung von Weblogs u.a. das Fremd- und Selbstbild der Blogger und Journalisten verglichen hat. „Die Übereinstimmung mit der Sichtweise von Journalisten ist hoch: Die Redaktionsleiter von Nachrichtenredaktionen sahen 2006 ganz ähnliche Stärken und Schwächen. Fremd- und Selbstbild von Bloggern und Journalisten decken sich also weitgehend.“ Und das Fazit von den Autoren Christoph Neuberger, Christian Nuernbergk und Melanie Rischke: „Insgesamt lassen die Ergebnisse darauf schließen, dass zwischen Weblogs und professionellem Journalismus primär eine komplementäre, weniger eine konkurrierende Beziehung besteht. Blogger sind auch in ihrer Gesamtheit kaum in der Lage, kontinuierlich, thematisch universell und aktuell zu berichten und vor allem zu recherchieren. Grundsätzlich ist anzumerken, dass die Prinzipien Profession und Partizipation nicht unvereinbar sind. Derzeit experimentieren viele Redaktionen mit neuen und weitergehenden Formen der Nutzerbeteiligung. Dazu gehört auch die Integration von Weblogs in journalistische Websites.“

Ähnlich resümiert das der Autor eines Artikels über die Bieler Kommunikationstage im Bund: „Internetblogs verdrängen den professionellen Journalismus nicht. Blogger geben ihr persönliches Empfinden wieder. Die Stärke des Journalismus liegt in der Unabhängigkeit.“ Als gegenseitige Ergänzung müsse die Beziehung zwischen Journalismus und Weblogs betrachtet werden. Ausserdem habe der Journalismus noch den Vorteil einer erhöhten Glaubwürdigkeit meint z.B.Silvia Egli von Matt vom MAZ etwas idealisierend: „Das Wichtigste für die Journalisten sei die Glaubwürdigkeit. Diese werde geprägt durch das Bemühen um Wahrheit, die Loyalität gegenüber den Bürgern (und nicht gegenüber den Inserenten) sowie die Unabhängigkeit.“

Erneut beim PR-Blogger wurde ich auf die Brodeur-Studie aufmerksam („The online survey was conducted among a random sample of North American reporters and editors, and was focused on understanding how social media and blogs influence their work“). Ihr ist zu entnehmen, dass mehr als drei Viertel der Befragten US-Journalisten in Blogs „story ideas“ und „news angles“ sowie Einblick in die Tonalität einer laufenden Debatte oder Diskussion erhalten. Etwas weniger wichtig (46.9%) sind Informationen über „breaking news“. Über 20% lesen Blogs während mehr als einer Stunde am Tag und ca. 57% lesen Blogs mindestens zwei- bis dreimal in der Woche. Sehr beeindruckend ist die Zahl der Blogger. Mehr als jeder Vierte hat sein eigenes Weblog, und 16,3% haben eine eigene Social Networking-Page. Ausserdem sagen 47,5% der Befragten, dass sie zwar Weblogs lesen, aber selten Kommentieren („lurkers“). Etwa 23% haben eine Liste von 6 oder mehr Blogs, die sie mindestens einmal pro Woche konsultieren (einen bis fünf Weblogs lesen ca. 48% regelmässig und 29% lesen keine Weblogs regelmäßig). Die beliebteste Suchmaschine ist Google Blogsearch. Schliesslich meinen die Journalisten, dass die Blogosphäre einen signifikanten Einfluss auf die Geschwindigkeit von Nachrichten (74%), auf die Verfügbarkeit von Nachrichten (69%) und auf die Tonalität von Diskussionen (62%) hat.

Jörg Kantel publizierte 5 interessante Thesen zu einem „Missverständnis“, von denen ich mir eine Kleinigkeit herausgepickt habe: „Weblogs greifen in erster Linie Nachrichten auf und kommentieren sie, sie sind (noch) eher selten Original-Produzenten von Nachrichten.“ Ausserdem: „Weblogs besetzen Nischen, die von den ‚klassischen‘ Medien nicht mehr bedient werden.“ Und schliesslich: „Social Software ist keine Gefahr für den Journalismus, aber Journalisten werden in Zukunft Social Software für Ihre Arbeit nutzen. Und das wird nicht nur Auswirkung auf die Arbeit der Journalisten haben, sondern auch die Medienlandschaft verändern.“

Eine weitere interessante Quelle über das Verhältnis von Weblogs und Journalismus – auf die ich hier nicht weiter eingehen möchte – bietet Till Achinger (Dozent an der Uni Münster am Institut für Kommunikationswissenschaft).

Fassen wir also die einzelnen Aspekte nochmals kurz zusammen:

  • Weblogs und traditioneller Journalismus stehen in einer Wechselbeziehung, die durch Induktionen und Adaptionen gekennzeichnet ist: Weblogs und Journalismus sind komplementär! Im Gegensatz zur Beziehung von PR und Journalismus (Intereffikation/Interdependenz), bedingen sich Weblogs und Journalismus gegenseitig nicht.
  • Weblogs, insbesondere J-Blogs, betreiben einen Nischenjournalismus der sich gleichwohl an den journalistischen Standards (Quellentransparenz etc.) orientiert.
  • Reichweitenstarke Weblogs tendieren längerfristig zu einer Kommerzialisierung durch Werbung und gleichen so den Massenmedien im Finanzierungsmodell. Ausserdem geniessen diese A-Blogs überproportionale Aufmerksamkeit. Diese auf einzelne Knoten zentrierte Kommunikations-Struktur führt wiederum zu einer Art Professionalisierung und einseitigem Senden statt Austausch: Der Dialog findet hier eher unter den Lesern statt, als zwischen Lesern und Autor.
  • Journalisten auf der anderen Seite passen sich insofern an, als sie mittels eigenen Weblogs die authentische und subjektiv gefärbte Schreibe von Bloggern übernehmen (oftmals Kolumnisten).
  • Der Online-Journalismus übernimmt technische Funktionen von Weblogs: z.B. RSS-Feeds.
  • Die Blogosphäre dient den Journalisten als Recherche-Fundgrube: Sie finden darin Themen, Quellen, neue Trends, Inspiration und wahrscheinlich vieles mehr.
  • Die Journalisten finden in Weblogs sogar eine Bewertung ihrer eigenen Arbeit: z.B. Bildblog.
  • Blogger auf der anderen Seite beziehen sich oft auf Themen aus den Massenmedien und sorgen somit für eine Anschlusskommunikation. Dadurch, dass Themen aus den Massenmedien in der „Echo-Chamber“ der Blogosphäre warmgehalten werden, kann der Journalist ausserdem einen potenziellen Anschlusspunkt für eine Rethematisierung finden. Oft wird in diesem Zusammenhang davon gesprochen, dass die „interpersonale“ (computervermittelte) Kommunikation eher zu Meinungsänderungen und –einstellungen führt als der direkte Konsum von Massenmedien.
  • Journalisten können sich (wenn sie wollen) aktiv am Dialog mit den Bloggern beteiligen.
  • Journalisten haben den besseren Zugang zu gesamtgesellschaftlich relevanten Ereignissen (wobei Blogger z.B. immer öfter zu Pressekonferenzen eingeladen werden). Dafür sind Blogger oft die besseren Quellen für Informationen/Ereignisse aus der Online-Welt.
  • Nicht zu vergessen ist die Marketing-Macht der etablierten Verlage und die noch relativ bescheidene Blogleserschaft im deutschsprachigen Raum.

Fügt man nun alle genannten Aspekte einem grossen Topf bei und rührt ein wenig, könnte so etwas wie das folgende Modell dabei herauskommen.

Modell_Jour_Weblogs.jpg

Dieser Artikel ist ein Gastbeitrag vom Sinnmacherblog und wurde stark gekürzt. Das Original findet sich auf dem Sinnmacher Weblog.

February 20th, 2008 Kategorie: Diskurs, Gastbeitrag

4 Comments Add your own

  • 1. Benedikt  |  February 20th, 2008 at 5:18 pm

    Schöner Artikel und eindrucksvolle Grafik! Nur: Für mich liegt der Witz eher darin, dass man auf der einen Seite gerade nicht so klar zwischen Rezipienten und Bloggern trennen kann (Stichwort: ReadWriteWeb) und auf der anderen Seite nicht so klar zwischen Massenmedien und Ereignissen (Stichwort: Medienereignisse). Dagegen kommt es selten vor, dass Blogger Ereignisse in der “Offline-Welt” inszenieren können oder, dass Rezipienten sich in die Massenmedien einschreiben.

  • 2. Dominik  |  March 21st, 2008 at 2:34 pm

    HI,
    danke für den Kommentar. Bin natürlich mit Dir einverstanden. Aber ein Modell geht eben immer mit einer gewissen Komplexitätsreduktion und somit erhöhter Ungenauigkeit einher.

  • 3. Martin Wisniowski  |  March 21st, 2008 at 2:38 pm

    Der Sinn einer Theorie ist ja gerade die Vereinfachung der Welt-Komplexität. Ich denke, was das Modell gut zur Anschauung bringt, und was vermutlich auch Benedikt mitangesprochen hat, ist folgendes: es gibt einen Bereich, wo sich die klassischen Rollen von Journalismus und Bloggen vermischen. Das geschieht im Bereich der A-Blogger und des Bürgerjournalismus. Dort verschieben und vermischen sich Rollenmuster, die sich nicht unbendingt einfach wieder auftrennen lassen. Das zumindest ist meine Sicht der Dinge!

  • 4. Till Achinger  |  January 24th, 2009 at 6:42 pm

    Kleine Richtigstellung: Die Arbeit über Weblogs und Journalismus, die ihr Versprechen aus dem Untertitel nicht ganz einlöst, habe ich in meiner Eigenschaft als Student der WWU Münster geschrieben, als Hausarbeit. Ich war und bin dort nicht Dozent. Um so mehr freue ich mich, dass die Arbeit Beachtung findet.

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