Bildung 2.0: Dauerpraktika, urbanes Pennertum und Qualitätsdowngrade

Generation digitale Kultur

Ich bin Teil einer Generation, die jetzt zwischen 25 und 35 sein dürfte: großgeworden Ende der 80iger Jahre, aufgewachsen in den Neunzigern. Wir haben den digitalen Wandel miterlebt, von drei hin zu sechunddreissig Fernsehprogrammen. Erst elektronische Musik, dann elektronische Kultur. An die Hochschule gingen wir mit der Aussicht, als fertig studierte Akademiker sorglos und mit guten Einstiegsgehalt in die Arbeitswelt einzutreten. So war das, doch die Realität heute sieht anders aus.

Bestandsaufnahme

Wir werden mit Dauerpraktika hingehalten, sollen flexibel sein, Reise- und Unterkunftskosten aus der eigenen Tasche bezahlen, was dann meistens zusätzlich den elterlichen Geldbeutel belastet. Die Praktika werden gemacht, weil es eine diffuse Aussicht auf einen Arbeitsplatz gibt. Ich glaube, in der Geschichte der Bundesrepublik hat sich die Intelligenz nie billiger verkauft. Man ist dankbar für eine pauschale Vergütung in Höhe von 400 EUR – oder für eine halbe oder sogar viertel Stelle an einem Institut. Wer keine Lust hat auf das Arbeitsplatzgebalze, versucht es freiberuflich oder selbstständig und endet meist als urbaner Penner. Und weil wir in einer demographischen Zeitenwende leben, ist meine Generation (aus Sicht der Mainstreampresse) auch noch schuld am Kindermangel in unserer Gesellschaft. Eine Veranschaulichung der Demographie aber zeigt, das es nicht die “Schuld” meiner Generation ist, sondern das der allgemein westliche Lebensstil mit 1 bis 2 Kindfamilien zu dieser Entwicklung geführt hat. Selbst wenn jetzt gebährfähige Frauen 5 bis 6 Kinder kriegen würden, könnte man damit die Renten unserer überalterten Gesellschaft nicht finanzieren.

Arbeitsplatzmangel oder Universitätsdowngrade?

Warum gibt es keine Arbeit für junge, fertig ausgebildete Absolventen? Ist es ein strukturelles Problem, dass es im allgemeinen zuwenig Arbeit(splätze) gibt? Wie kann es sein, dass gerade in unserer angehenden Wissensgesellschaft Akademiker in nomadischer Armut leben müssen? Vielleicht liegt es daran, dass das Modell “Praktikum + Übernahme in den Betrieb” nicht mehr funktioniert, weil das Arbeitsplatzangebot rar und die Mittel knapp sind und sich längt ein Lohndumpingmarkt um Praktikantenplätze herausgebildet hat. Schliesslich sind absolvierte Praktikanten fleissige Ließchen, die ordentich klotzen – der Lockstoff heisst Jobangebot. Vielleicht gibt es aber auch zuviele mittelprächtig ausgebildete Studierende, wie Reinhard K. Sprenger in seinem Essay Der weiße Schimmel (pdf) vermutet. Den Universitätsdowngrade betrachtet er so: “Die Demokratisierung der Bildung hat es mit sich gebracht, dass fast jeder meint, studieren zu müssen, der in sich zarte Regungen amorphen Bildungshungers spürt. So ist das Akademische derart in die soziale Mitte gerutscht, dass, wo früher die wortwörtliche mittlere Reife reichte, heute ein Universitätsabschluss notwendig ist.”

Generation: Adieu Wohlstand?

Ich als Teil einer Generation, die jetzt zwischen 25 und 35 sein dürfte, habe den Eindruck als wären wir der Schwarze Peter einer Gesellschaft, die unerschüttlich an alten Strukturen festhält. Wir wollen arbeiten, dürfen aber nicht. Wir sollen die Renten finanzieren, können aber nicht mal unsere Mieten bezahlen. Wir sollen Kinder kriegen, können sie aber nicht finanzieren. Mit einer halben oder viertel Stelle hätte man ja im Prinzip genug Zeit, aber davon eine junge Familie durchbringen? Es lassen sich ja nicht mal Investitionen wie beispielsweise die Renovierung der Wohnung oder der Kauf von Möbeln tätigen. Man ist ja froh, wenn das Gehalt für das Nötigste reicht. Und schliesslich steht der nächste Umzug nach mehreren Monaten Praktikum oder einem befristeten Projekt ins Haus. Vielleicht sind wir Prototypen eines Neuen Deutschlands. Eines Deutschlands ohne massivem Wohlstand. Das Bild eines Deutschlands in der Wissensgesellschaft. Ein Bild, mit dem sich niemand so recht anfreunden möchte.

March 20th, 2006 Kategorie: Diskurs

7 Comments Add your own

  • 1. baumann  |  March 20th, 2006 at 3:52 pm

    Ich als Teil einer Generation, die jetzt zwischen 35 und 45 sein dürfte, habe dein Eindruck des “immer knapp zu spät”.

    Warum? Man folgte stumm und treu dem Motto der frühen 80iger, gepredigt von Eltern, Lehrern, Arbeitsämtern: Ein technisches hartes Studium wird später in harter Währung entlohnt. Fremd- statt Selbstbestimmung. Dies taten viele junge Menschen, sehr viele, zuviele?
    Das Studium war in der Tat sehr hart und 70% blieben auf der Strecke. Trotzdem gab es am Ende eine Informatikerschwemme statt der harten DM, antizyklisch ist dann doch was anderes. Nun gut, wir sind ja die geburtenstarken Jahrgänge, die wollen alle beschäftigt werden.
    Manche ergatterten Jobs in der Forschung. Zeitverträge sind hier auch jenseits der 40 normal und der Familienstatus bleibt oft unberücksichtigt.
    Dann kamen die 90iger und mancher hat sich die NewEconomy gegeben, leider nur wenige erfolgreich. 1999-2003, arbeitsreiche Jahre ohne Urlaub -trotz Familie- und dann hier und da mit viel Glück kleine Exits.
    Zum Status Quo: Arbeiten ist immer noch angesagt für meine Generation. Mietwohnung statt Eigenheim, Family Van (ab 3 Kinder aufwärts) statt Benz ist auch für die topausgebildeten, kinderreichen Paare Normalität. Für mich ist das mittlerweile kein Problem mehr. Die Rente auf Mallorca? Ist eh zu langweilig. Was ein wenig nervt sind durchaus die 68er, die dann doch aus dieser hier besprochenen Generationenaffäre lässig rausgekommen sind.

    Fazit: 2 Generationen betrogen?

    Und mal unter uns: Was rate ich meinen Kindern?

  • 2. mo.  |  March 20th, 2006 at 7:16 pm

    hey martin!

    schöner text. schön mit den zwei wichtigen links. eine gute bestandsaufnahme, die hier und da ein wenig zu sehr den kopf hängen lässt. mensch, wir wissen doch. und du machst es auch. einfach weiter machen. kein mittelmaß, sondern nach oben orientieren. das fehlt dem txt noch, einfach eine pespektive. es gibt auch chancen dadurch. der kampf gegen das mittelmaß, dass wirklich in die uni eingezogen ist. der kampf für kämpferische menschen. beschenkt worden ist noch keiner. und wie wir ja festgestellt haben. urbaner penner ist auch immer noch ein toller wohlstand.

    cheers, mo.

  • 3. Generation digitale Kultu&hellip  |  March 20th, 2006 at 8:01 pm

    […] Martin aka 020200 macht sich drüben, bei den Hard Bloggin’ Scientists, Gedanken über die Generation digitale Kultur und urbane Penner. […]

  • 4. 020200  |  March 27th, 2006 at 11:00 pm

    Ein Webfundstück zum Kinder-Diskurs: http://maennerseiten.de/blog/index.php/vermehrt-euch/

  • 5. Grete  |  April 7th, 2006 at 8:33 am

    Herr Martin, Sie sprechen wahr. Danke.

  • 6. The original hard bloggin&hellip  |  August 1st, 2006 at 1:06 pm

    […] Martin im HBS mit Verweis auf Mercedes Bunz. […]

  • 7. QUARTERLIFE&hellip  |  September 4th, 2006 at 10:27 pm

    Generation ……

    “Generation auf Kuschelkurs“, “Generation Praktikum“, “Generation Digitale Kultur” Das sind wir.
    Außerdem Generation der Spielverderber, Akademiker und Turbo-Egoisten, die keine Kinder bekommen und Schuld an den gig…

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