Der ernsthafte Wissenschaftler blogt nicht.

Ich ziehe mir jetzt mal den Hut des Advocatus Diaboli auf und behaupte: Der ernsthafte Wissenschaftler blogt nicht. Er diskutiert mit Kollegen, die er kennt und denen er vertraut. Damit minimiert er die Gefahr, daß seine Ideen von Außenstehenden geklaut werden. Wenn er alle Fakten sauber recherchiert hat, schreibt er ein Paper. Reicht es ein. Publiziert es in einem angesehenen Journal.

Das ist immens wichtig für den ernsthaften Wissenschaftler, denn man wird ihn anhand seiner Publikationsliste bewerten. Warum sollte sich also ein ernsthafter Wissenschaftler dem Risiko aussetzen und bloggen? Das Manifesto paßt für ihn nicht: “I won’t have a sketch of my process online.”

March 30th, 2006 Kategorie: Diskurs

8 Comments Add your own

  • 1. Mario Donick  |  March 31st, 2006 at 7:32 am

    Hehe, ja, so sollte es sein im ernsthaften wissenschaftlichen Diskurs.

    Der ernsthafte Wissenschaftler verabscheut es, wenn seine Gedanken schon dann öffentlich sind, wenn sie noch aktuell sind und nicht erst zwei Jahre später, wenn die Publikation endlich gedruckt wird und er sich längst mit anderen Dingen beschäftigt.

    Der ernsthafte Wissenschaftler mag kein rosa ;)

    Nein, im – Ernst (ha), was meine Befürchtung ist, gerade da ich noch am Anfang meiner Laufbahn stehe,: Wird die Tatsache, dass man in Blogs offen über seine Ideen spricht und den einen oder anderen mehr oder weniger lockeren Miniaufsatz auf seiner Website veröffentlicht, irgendwann negativen Einfluss auf die Karriere besitzen?

    Nach dem Motto: “Ein Aufsatz von wem?” – “Der bloggt.” – “Um Gottes Willen, ein Blogger? Hat der schon was anderes veröffentlicht?” – “Nein, bisher nicht.” – “Na, liegt wahrscheinlich daran, dass er bloggt. Schreiben Sie ihm, wir können sein Paper leider nicht annehmen.”

    …hmmm…

  • 2. md  |  March 31st, 2006 at 11:10 am

    @Mario: In meinem Bereich (Grid Computing) sehe ich ganz real die Gefahr, daß meine Ideen geklaut werden und ich keine Credits dafür bekomme. Dabei ist es vollkommen egal, ob ich auf einer Konferenz zuviel Bier trinke und redseelig werde oder halbfertige Ergebnisse blogge.

    In beiden Fällen kann ein anderer schneller ein halbfertiges Paper irgendwo einreichen. Das ist der Eiertanz, den ich wohl tanzen muß.

  • 3. 020200  |  March 31st, 2006 at 12:50 pm

    Ich denke, deswegen steht im Manifest “10. I refer to the people who done the work first.”

    Aber kann man sich auf das Gute im Menschen verlassen? Ich vermute, dass der HBS auch an einer Wissenschaftsethik inteessiert ist.

  • 4. Mario Donick  |  March 31st, 2006 at 1:47 pm

    Ich verstehe natürlich den Standpunkt, dass man Angst hat, dass andere Leute mit der eigenen Arbeit Erfolg haben, und auch ich habe davor Angst. Das fängt schon früh an. Wir wissen ja, dass schon viele Studenten abschreiben, ohne irgendwelche Gewissensbisse zu haben. Und wenn mich ein Student fragt, ob er meine B.A.-Arbeit oder die noch nicht mal begutachtete M.A.-Arbeit lesen kann, und er zum ähnlichen Thema was schreibt, frage ich mich schon, ob er sich bei mir nur informieren will oder ob er sich auch anderweitig “inspirieren” lässt. Aber, ja, ich glaube erstmal an das Gute im Menschen, bis ich persönlich “Opfer” bin.

    Auf der anderen Seite klauen auch etablierte Wissenschaftler – selbst von Studenten. Eine Bekannte von mir hat vor Jahren während ihres Geologiestudiums einige interessante Gedanken in einer Seminararbeit gehabt, die dann von ihrem Dozenten … nennen wir es mal AUFGEGRIFFEN wurde.

    Ich hoffe sehr, dass die Mehrzahl der Wissenschaftler an gewisse moralische Standards glaubt. Ich denke nämlich, dass ich es sonst nicht lange in diesem Umfeld aushalten würde.

    Ach ja, müsste es nicht eigentlich “I refer to the people who’ve done the work first” heißen…? Die Übersetzung klingt zumindest besser: “die die Arbeit zuerst gemacht haben” statt “die die Arbeit zuerst machten”… Hm. Egal ;)

  • 5. md  |  March 31st, 2006 at 1:56 pm

    Moment! Ich habe hier unveröffentlichte Gedanken und Zwischenergebnisse im Blick. Wenn jemand aus meinen Publikationen einen Gedanken bekommt, denke ich, daß er mich einfach referenziert. Das nützt schließlich mir (ein “incoming link”) und ihm (er kann seine Argumentation untermauern). Insofern hab ich kein Problem, bereits veröffentlichte Dinge zur Verfügung zu stellen.

    Der Zeitpunkt der elektronischen Publikation liegt dabei natürlich meist ein halbes Jahr vor dem Erscheinen in Papierform. Dient auch mir, denn je zeitnaher andere meine Texte lesen, desto höher ist die potentielle Relevanz für ihre Publikationen – und dann wieder “incoming links” für mich…

    @Martin: Natürlich werden Gutmenschen referenzieren. Darauf verlassen möchte ich mich allerdings nicht, das funktioniert nicht – leider.

  • 6. Kossatsch  |  April 1st, 2006 at 2:43 pm

    «Der ernsthafte Wissenschaftler blogt nicht.»
    Eben. Er sitzt in seinem Kämmerlein und schreibt seine Diss binnen zwei jahren. Blogs kosten ihn zu viel Zeit, sind ihm zu spontan und unwissenschaftlich.

    Und: “Angst” vor Plagiat muss jeder haben, auch in gedruckter Form.

  • 7. Jens-Olaf  |  April 3rd, 2006 at 1:21 pm

    “Ernsthafter Wissenschaftler”blogt nicht; so so. Mag sein. Ich habe im Frühjahr an zwei Kolloquien mit historisch archäologischen Themen teilgenommen. Was mich eher wundert, ist die mangelnde Kommunikation unter den Wissenschaftlern. Da tauchen Thesen auf, die schon jahrelang vorgetragen werden, aber die Wissenschaftler mit der besten Übersicht über Einzelfragen wurden gar nicht zu Rate gezogen. Es wird dem Zufall überlassen,ob sie davon erfahren. Also ich habe da eine andere Vorstellung von Wissenschaft. Anderes Beispiel: in der englischsprachigen Wissenschaftsgemeinde sind in der Genetik die Arbeitsgruppen eher bereit Erkenntnisse auszutauschen als bei uns. Selbst in Osteuropa habe ich sehen können, daß hier bereits 1991 ein reger Emailverkehr über neueste Erkenntnisse in die USA stattfand. An meiner deutschen Uni konnte man zu der Zeit froh sein, überhaupt Zugang zum PC-Raum zu bekommen. Ich habe noch gut in Erinnerung, dass ein Genetik-Professor im Seminar tönte, dass die Laien gar nichts zum Thema sagen sollten, sie hätten ja keine Ahnung. Nur Wissenschaftler sollten über Genetik konsuliert werden. Ja, so sind wir. Also lassen wir das Bloggen sein.

  • 8. Stylewalker  |  May 8th, 2006 at 11:02 am

    Wer Angst vor Ideenklau hat, hat einfach zu wenige.

    Wer seine Ideen online veröffentlicht, markiert damit seine Urheberschaft und kann sich immer wieder darauf beziehen. Ich habe schon öfter Weblogeinträge als Referenzen in wiss. Werken gefunden. Und das wird sicher nicht weniger.

    Plagiate fliegen auf, erst recht, wenn sie aus öffentlichen Quellen stammen.

    Man muss nicht alles bloggen, was man denkt.

    Wer sein Wissen zurück hält, bringt die Gesellschaft nicht weiter.

    Auch und vor allem in der Wisschenschaft geht es um Beziehungen, Referenzen, Politik. Das geht am Biertisch nach der Konferenz, auf den Fluren der Uni und mit dem eigenen Weblog. Am besten mit allen zusammen.

    Zum advocatus diaboli sage ich: Für Wissenschaftler bietet Bloggen viel mehr Vor- als Nachteile.

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